Wie unscheinbare Insekten ein sehr aktives Leben ausbremsen können


Mein mein Sohn Max (12) und ich waren über Jahre sehr agil, kreuz und quer in der Natur unterwegs. Seit 2015 haben wir Thüringen mit über 20 Geocaches „garniert“ (einer Art Schnitzeljagd nach Geokoordinaten), in ganz Europa die „Dosen“ anderer „Owner“*1 gesucht und deren Logbücher signiert.


Wir sind durch Wälder gestromert oder haben mit den Fahrrädern Wege erkundet, die man mit Auto/ÖPNV nicht entdeckt oder sind mit dem Kanu über Flüsse und Seen gepaddelt.


Doch dann schlug ein zunächst unbekannter Spielverderber zu. Zunehmende Gelenkschmerzen in den Knien wurden als Meniskusschäden identifiziert, die zu operieren wären. Die Struktur der Schäden gab den Chirurgen Rätsel auf und obendrein gab es kein auslösendes Ereignis.
Die Knie wurden im Anstand von 2 Monaten „repariert“, waren schnell schmerzfrei und wieder „einsatzfähig“. 
Optimismus zog ein.


Dann holten mich „Baustellen“ ein, die mich schon ein paar Jahre immer wieder heim suchten, doch nun extrem präsent waren und nicht nach Stunden oder Tagen wieder verschwanden. 

Kopfschmerz, Schmerzen der Nerven – insbesondere im Gesicht und am Schädel, Hörstürze, ein Dauer-Pfeifen der Ohren im Wechsel und verschieden Frequenzen, eine abnehmende Belastbarkeit des Herzens, Schwindel bei Belastung, Muskelkater aus heiterem Himmel, plötzliches Frieren bzw. Kälteempfindlichkeit, Erschöpfung für die es scheinbar keine Gründe gab, zunehmende Wahrnehmungsprobleme der Augen und …

die Gelenke! 
 

Die Schmerzen in allen Gelenken, Sehnen, Muskeln nahmen zu und auch die Knie fingen wieder an, Geräusche zu machen, bzw. nach kurzer Belastung oder ohne erkennbaren Grund zu schmerzen. 
Füße, Hüften, Knie, Wirbelsäule, Schultern, Ellenbogen, Hände, … . 
Mal das Gelenk an sich, mal die Sehnenansätze am Knochen bzw. der Übergang in den Muskel.

Nach einem, mir nicht nachvollziehbaren Muster „wanderten“ die Schmerzen mal nach hier, mal nach da, wurden in Summe immer mehr und auch neurologische Beschwerden nahmen zu. Ich wurde als Mitvierziger diskret inkontinent.

Ich war bei verschieden Rheumatologen, Humangenetikern, Orthopäden, Neurologen, Hautärzten, Urologen, HNO, 
teilweise in teuren Privatsprechstunden, ohne das die bestimmen konnten, was mich da quält. 
Den ratlosen Gesichtsausdrücken folgte in der Regel unisono ein „psychosomatisch“ *³. 


Quasi als „Edel-Hypochonder“ gestempelt, nahm ich das Angebot einer „Multimodalen Schmerztherapie“ wahr, wo neben mir alle Betroffenen irgendwo Probleme mit ihren Gelenken oder dem Skelet hatten. 
Doch es gab einen entscheidenden Unterschied. Die Ursache derer Scherzen war eindeutig geklärt. 
Stoffwechselprobleme, Operationsfolgen, Unfälle usw. waren für mich neu und interessant aber meinen Problemen nicht ähnlich. 
Wir haben viele Übungen gelernt, die „normalerweise“ Linderung verschaffen. Es gab Sitzungen mit Psychologinnen, ganz viel Psychoedukation zu allen Fassetten des Schmerzes, doch mir tat das nur in Teilen gut. Beim „Nordic Walking nach Anleitung“ kamen die Knieschmerzen wieder und bei Übungen zur Kräftigung des Oberkörpers fingen Brust- und Halswirbelsäule immer stärker an zu schmerzen. Irgendwann konnte ich nur noch mit einem stabilisierenden Gurt um Schultern und Oberkörper an den Sitzrunden teilnehmen.

Auch hier waren die „Schmerz-Ärzte“ ratlos. Und wieder das Unwort „psychosomatisch“ *³. 


Dass die Schmerzen sehr real sind und es meiner Psyche im Grunde richtig gut geht, wenn man realisiert, dass ich seit Jahren keinen Schmerzfreien Tag hatte, passte nicht in deren Bild. 

Man gewöhnt sich eben dran, soweit Bewegungen usw. nicht zu stark werden, macht man einfach weiter, wird langsamer oder gönnt sich eine Pause liegend im Bett, ohne jedoch schlafen zu können .


Nach Ende der „Multimodalen Schmerztherapie“ hat mich nun der neue Gurt für die Brustwirbelsäule weiter begleitet, denn am PC arbeiten oder ein Buch lesen, war nun kaum noch möglich. 
Die ohnehin problematisch „Sehkräfte“ bei Texten und Tabellen nahmen weiter ab. 
Die zunehmenden Einschränkungen bei der Konzentration auf Texte in Büchern, „verschwimmende“ Konturen bei Zahlen oder Grafiken, sind ein fast noch größeres Problem, denn Lesen und dabei jeden Tag den Horizont erweitern, ist für mich das Wichtigste überhaupt
Doch hier half keine noch so raffinierte Brille.


Zum Besuch im IKOS in Jena-Lobeda, wo man sich nach Selbsthilfegruppen für das eigene Problemspektrum erkundigen kann, fiel einer der Mitarbeiterinnen das Symptomspektrum auf, das ich beschrieb. Genau davon berichten die Mitglieder der Borreliose-Selbsthilfegruppe ihr immer wieder. 


Ich „roch Morgenluft“ und kniete mich sofort in die Recherche, holte mir Rat von den Mitgliedern der Borreliose-Gruppen in Erfurt und Jena, da es so gut wie keine Mediziner in Thüringen zu geben schien, die sich damit, auskannten. Doch dank der Auskünfte fand ich zwei Namen, die immer wieder von Betroffenen genannt wurden. 

Am Carl-Zeiss-Platz in Jena wurde ich fündig und musste nun erstmalig feststellen, dass Borreliose ganz schön ins Geld geht. Das „Standardprogramm“, das die Kassen finanzieren hat bisher KEINEM der Betroffenen geholfen, die ich bisher befragt habe.

Sogar die Borreliose-Tests, die von den Kassen bezahlt wurden, waren nicht einheitlich und genau genug, um meine kleinen „Mitbewohner“ zu finden. 
Sie zeigten negative Ergebnisse an, wie ich das auch vor Jahren schon kannte, als ein cleverer Neurologe schon einmal den Verdacht hatte, meine Probleme könnten auf „Spirochäten“ – so heißt dieser Typ von Mikroorganismen - zurück zu führen sein. 

Privat zu finanzierende Tests brachten dann Klarheit. Wiederum neu für mich war, dass es von Spirochäten-Typ „Borrelia“ verschiedene Stämme oder Familien gibt. Es konnte mit Hilfe der Labortest sehr klar bestimmt werden, wie diese heißen und in welchen Regionen Europas/der Welt sie vorkommen. 

Auch die vielen zusätzlichen Infektionen mit diversen Viren, die für mich früher keine Rolle spielten, heute aber in Kombination mit meinen „Untermietern“ aufblühen und sich auf den gesamten Organismus auswirken, waren vor kurzem noch beherrschbar, geraten aber nun außer Kontrolle.

Bei einem Medikationsversuch und der Lumbalpunktion*² stellten die Mediziner fest, dass die „Blut-Hirn-Schranke“ nicht mehr intakt war, Stoffe aus dem Blut („Serum“) ins Nervenwasser („Liquor“) übergetreten waren, die beim gesunden Menschen an eben dieser Schranke aufgehalten werden. 


Eigentlich wollte ich nicht Medizin studieren, sondern einfach meine Erschöpfung, Schmerzen und Ausfallerscheinungen loswerden, meinen Hobbys in Wald und Flur nachgegen. Als Techniker bin ich „einfach reparieren“ gewöhnt.

Doch weit gefehlt. Die Therapiemaßnahmen, die die Krankenkasse finanzierte schlugen fehl, hatten sogar beachtliche Nebenwirkungen.

Der Schwenk auf die teuren, privat zu finanzierenden Präparate und immer wieder selbst zu zahlende Tests für die Erfolgskontrolle, brachten erste Erfolge. 

Das „neue Leben“ macht nun seltsame „Hobbys“ notwendig. Die Literatur von wissenschaftlichen Fachzeitschriften, Forschungsprojekten und Dissertationen gibt zögerlich Informationen preis, wie man den „Untermietern“ Herr wird.

Die reduzierten Bezüge, aufgrund langer Arbeitsunfähigkeit werden zusätzlich durch Behandlungs- und Diagnostikkosten dezimiert.

Die langanhaltenden Folgen der Borreliose machen mich arm!


Bei der Lektüre der Tageszeitung erweckten Artikel über das „Post-Covid-Syndrom“ meine Aufmerksamkeit. Hier wurde doch tatsächlich exakt der „bunte Strauß“ an Symptomen genannt, der auch mich plagt. Lediglich der Verlust von Geschmack und Geruch „fehlt“ mir in der Sammlung. Nur hatte ich keine „Covid 19“ Infektion.

Unter dem Stichwort „Post-Lyme-Syndrom“ fand ich eben genau mein Symptomspektrum wieder. Hier wird sehr exakt beschrieben was ich den Medizinern über meine Beschwerden berichtet hatte.


Ich las zu Jahresbeginn, dass die Wissenschaftler und Mediziner an der Charité in Berlin längst die Zunahme von „persistierenden“, weitgehend identischen Einschränkungen bemerkt, die immer in Folge einer Erreger-basierten Infektion auftreten, aber nicht alle Menschen in gleichem Maße betreffen.

Unter dem Begriff „ME/CFS“ wird u.a. von MS-Spezialisten, im Auftrag von Renten- und Krankenkassen eine breite Studie vorangetrieben. Ziel ist (meines Wissens), geeignete Mittel zur Linderung oder Heilung zu finden bzw. zumindest einen einheitlichen Katalog zur Diagnostik zu erstellen, um den Betroffen unter geregelten Rahmenbedingungen Finanzielle Leistungen zukommen zu lassen, denn eine Berufliche Tätigkeit ist völlig ausgeschlossen, wenn man schon nach wenigen Schritten, Handgriffen oder gelesen Zeilen einen Zustand erreicht, als wäre man einen Marathon gelaufen. 


Nun, genug gejammert!


Heute weiß ich, es ist gut, sich viel an der frischen Luft zu bewegen! Auch wenn dort Parasiten „lauern“. 

Die meisten Menschen erholen sich von einer Infektion oder merken sie kaum. Der „Rest“ – also Menschen wie ich - ist gut beraten, sich nach Bewegung in der Natur gründlich abzusuchen, die Textilien am besten in der Badewanne auszuziehen, auszuschütteln, aufzuhängen, um zu verhindern, das „Blinde Passagiere“ sich festsetzen oder in die Wohnräume gelangen. 

Denn gegen Borreliose gibt es heute noch keine Impfung.


Ein fröhliches und aktives Jahr wünscht Euch,


- Euer Stefan -



 

*1) So werden die „Verstecker und Pfleger“ von Geocaches, also Behältern mit einem Logbuch, genannt.

*²) Entnahme von Nervenwasser aus der Wirbelsäule, mittels Punktionsnadel.

*³) Das Wort „psychosomatisch“ würde ich gern zum Unwort des Jahrhunderts vorschlagen, denn immer, wenn Mediziner eine „vollständige“ Diagnostik nicht bei den Krankenkassen abrechnen konnten, wurden die Schmerzen zur Folge einer Psychischen Störung erklärt.

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